Berlin – Der bis 2019 erreichte Fortschritt im Kampf gegen die Tuberkulose ist im Schatten der Covid-19-Bekämpfung auf der Strecke geblieben. Tuberkulose-Expert/-innen aus Osteuropa, Ghana, Indien, Indonesien und Mexiko sprachen nun während eines internationalen Tuberkulose-Symposiums der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften und des Koch-Metschnikow-Forums eine eindringliche Warnung aus: Ohne eine deutliche politische Priorisierung und höhere Investitionen in die globale Infektionsbekämpfung entwickelten sich die Opferzahlen durch die Infektionskrankheit weltweit in gefährlichen Aufwärtsspiralen weiter.
In einem Eckpunktepapier fordern die Delegierten die Gesundheits- und Entwicklungsminister/-innen der G7-Staaten auf, den Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria (Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria, GFATM) im Herbst 2022 wieder aufzufüllen. In dem Fonds, der in mehr als 100 Ländern tätig ist, sehen die Expert/-innen ein zentrales Instrument im Kampf gegen die Ausbreitung der tödlichen Lungeninfektionskrankheit.
Die chronische Pandemie Tuberkulose wird von der WHO seit 1993 als globaler Gesundheitsnotfall eingestuft und verursacht jährlich ca. 1,6 Millionen Todesopfer weltweit. Durch Lockdowns und die Umwidmung von Kapazitäten in den Gesundheitssystemen starben seit Beginn der Covid-19-Pandemie weltweit viele Menschen zusätzlich durch den medikamentenresistenten Tuberkuloseerreger. Die Gefahr an Tuberkulose zu erkranken, trifft die Schwächsten und Verwundbarsten in den Gesellschaften am meisten. Angesichts der Kriegshandlungen und der komplexen Folgen der russischen Aggression in der Ukraine steht die Tuberkulosebekämpfung in Osteuropa vor großen Herausforderungen. In der WHO-Region Europa hat die Ukraine – nach den jüngsten zur Verfügung stehenden Daten – die vierthöchste Tuberkuloseinzidenz und weist bereits heute weltweit die fünfthöchste Zahl an medikamentenresistenten Erkrankungsfällen auf. Delegierte aus der Ukraine, Georgien und Moldawien stellten auf dem Tuberkulose-Symposium aktuelle Forschungen und Zahlen zur epidemiologischen Situation in ihren Ländern vor. Einigkeit bestand unter den Teilnehmenden des Symposiums, dass es dringend erforderlich sei, die lebensrettenden Tuberkulosebehandlungen in der Ukraine aufrechtzuerhalten, um eine gefährliche epidemiologische Entwicklung zu vermeiden.
Prof. Dr. Dr. Timo Ulrichs, Vize-Präsident der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften und Direktor des Institute for Research in International Assistance (IRIA):
„Tuberkulose ist eine Pandemie, die im Schatten der derzeitigen Bemühungen zur Eindämmung von Covid-19 leider wieder größer wird. Sie ist aber keine dystopische Schattengestalt, sondern eine messbar ansteigende Bedrohung und sicherlich die besorgniserregendste Gefährdung des Menschenrechts auf Gesundheit in den hauptbetroffenen Ländern – und zu denen zählen die Ukraine und Russland gleichermaßen. Auch wenn die steigenden Tuberkulosezahlen im westlichen Europa noch nicht verstärkt spürbar sind, müssen wir die aktuelle epidemiologische Entwicklung ernstnehmen und ihr vor allem durch den kontinuierlichen Ausbau der Gesundheitssysteme begegnen, besonders in der Ukraine.“
Das wissenschaftliche Symposium, zu dem international bekannte Tuberkulose-Expert/-jedes Jahr zusammenkommen, fand vom 17. bis 18. Mai in Berlin – und bereits zum 15. Mal – statt. Ausrichter der Fachveranstaltung sind die staatlich anerkannte Akkon Hochschule für Humanwissenschaften, die 2009 durch die Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. gegründet wurde, sowie das Koch-Metschnikow-Forum, eine deutsch-osteuropäische Wissenschaftsorganisation zur Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Biomedizin und im Gesundheitswesen in praktisches Handeln. Aufgrund der G20-Präsidentschaft von Indonesien und einer neuen deutsch-indonesischen Kooperation an der Akkon Hochschule war erstmalig auch eine indonesische Delegation vertreten.
Eckpunktepapier „Für resiliente Gesundheitssysteme in der Ukraine und weltweit. Tuberkulose ernsthaft bekämpfen“
Im Einzelnen forderten die Delegierten in ihrem Eckpunktepapier die G7-Gesundheits- und Entwicklungsminister/-innen auf,
- die Resilienz von Gesundheitssystemen und globaler Pandemiekontrolle – einschließlich der Tuberkulose-Kontrolle – in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen zu stellen und robust zu finanzieren, vor allem durch eine erfolgreiche Wiederauffüllung des Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria im Herbst dieses Jahres.
- die Arbeit der staatlichen und nichtstaatlichen Akteure zu unterstützen, die eine Gesundheitsversorgung der ukrainischen Bevölkerung sicherstellen.
- die internationale Gemeinschaft besser auf künftige Gesundheitskrisen einzustellen, damit der Kampf gegen Tuberkulose und andere gefährliche Infektionskrankheiten nicht wieder zurückgeworfen wird, vor allem durch eine erfolgreiche Verhandlung eines Pandemievertrags, der menschenrechtliche Prinzipien und die Beteiligung implementierender Länder sowie vulnerabler Gruppen sicherstellt.
- die Forschung für innovative und kostengünstige Therapien, Diagnostik und Impfungen zu armutsbezogenen Krankheiten weiter zu priorisieren und nicht auf einen Status ante-Covid zurückzufallen, vor allem durch Finanzierung von Produktentwicklungspartnerschaften wie der TB Alliance, DNDi und FIND.
Download Eckpunktepapier: „Für resiliente Gesundheitssysteme