China schotte sich allmählich für ausländische Unternehmen ab, behandle einheimische Unternehmen bevorzugt, kritisieren Vertreter:innen der deutschen Medizintechnik-Branche. Hoffnungen liegen nun vor allem auf der Europäischen Kommission. Gleichzeitig werden neue, zukunftsfähige Absatzmärkte gesucht.
Die weltweite Lieferkettenproblematik hat die Medizintechnik-Branche weiterhin im Griff. Brauchten Lieferungen früher zwei bis drei Monate Vorlaufszeit, habe sich dies auf sechs bis zwölf Monate verlängert, berichtete Erhard Fichtner, Vorstandsvorsitzender der German Health Alliance (GHA), am Freitag. Für die Unternehmen seien vor allem Vorhersagen für China, Osteuropa und die Region Nahost und Nordafrika schwierig. Zudem erwartet Fichtner, auch Inhaber der Protec GmbH, eines Herstellers von Röntgentechnik, Preissteigerungen von 15 bis 30 Prozent bei den Lieferketten in den kommenden Jahren. „Wenn Sie international unterwegs sind, dann haben Sie aber kaum Möglichkeiten, Preissteigerungen auf Lieferantenseite an Ihre Abnehmer weiterzugeben“, sagt er. Dies bedeute weniger Profite und damit weniger Investitionen in die Zukunft. Gerade die Kapitallage der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs), welche die Branche maßgeblich prägen, werde „immer schwieriger“. Die Gesundheitswirtschaft schaut sich längst nach den Absatzmärkten der Zukunft um.
Er sei „sehr optimistisch“, dass diese aufgrund des Bevölkerungswachstums des Kontinents und einer wachsenden Mittelschicht in Afrika (https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/punktueller-aktionismus- hat-noch-nie-geholfen) liegen können, sagte Pierre Nasser, Senior Vice President der Region Mittlerer Osten und Afrika bei B. Braun Melsungen. Über ein Freihandelsabkommen könnten Plattformstrategien für ganze Subregionen des Kontinents entwickelt werden. „Dadurch wird die Attraktivität im Vergleich zu großen Einzelmärkten wie China, Indien, Brasilien oder Mexiko deutlich erhöht“, so Nasser weiter.
Das Geschäft mit Asien habe im ersten Halbjahr 2022 geschwächelt, ergänzte Marcus Kuhlmann, Leiter Medizintechnik bei Spectaris, dem Deutschen Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik. Die Ausfuhr der Medizintechnikbranche nach Asien, begründet durch Lockdowns und Reisebeschränkungen, sei in den ersten sechs leicht rückläufig gewesen. Berechnungen hätten ein Minus von 3,7 Prozent ergeben. Gleichzeitig seien die Exporte nach Nordamerika um 8,5 Prozent gestiegen.
Schottet sich China ab?
Ohnehin werde der Blick der Unternehmen gerade auf den chinesischen Markt inzwischen deutlich kritischer, sagte Jennifer Goldenstede, Leiterin Außenwirtschaft bei Spectaris. Sie sprach von einem „Dilemma“ für die Branche, weil China nach den USA noch immer der zweitwichtigste Exportmarkt der deutschen Medtech-Industrie sei. So führten die deutschen Hersteller im vergangenen Jahr Produkte im Wert von 2,34 Milliarden Euro nach China aus. Gleichzeitig habe Deutschland aber auch viel Medizintechnik aus China importiert – genauer gesagt im Gegenwert von 1,75 Milliarden Euro. Goldenstede berichtete, dass der Zugang zum chinesischen Markt für deutsche Unternehmen herausfordernd sei. So soll es Einschränkungen für ausländische Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen geben.
Mit dem International Procurement Instrument (IPI) (https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20220603IPR32143 /international-public-procurement-instrument-securing-fairness-for-eu- firms) verfüge die Europäische Kommission über ein Instrument, welches europäischen Unternehmen einen fairen Zugang zu Märkten über den Grundsatz von Wechselbeziehungen ermöglichen soll. Über das IPI könnte chinesischen Unternehmen, so Goldenstede, gleichermaßen der Zugang zum europäischen Markt erschwert werden bis ungleiche Bedingungen aufgelöst würden. Dieses Instrument werde aber von der EU-Kommission bisher nicht bespielt. Ein Erfolg aus Sicht der Industrie sei hingegen, dass sich am 5. Dezember in Washington beim „EU-US Trade and Technology Council“ (https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/stronger-europe-world/eu-us-trade-and-technology-council_en) die Partner darauf verständigt haben, gemeinsam zu untersuchen, welche politischen Maßnahmen und Instrumente gegen nicht marktkonforme Politik und Praktiken Wirkung zeigen könnten. Goldenstede betonte, dass es dabei „auf keinen Fall um eine Abkehr von China geht“ und der Dialog mit China auch im Bereich Medizinprodukte und Harmonisierung des Marktzugangs zwingend fortgesetzt werden müsse.
Mit Spannung erwarte die Branche die China-Strategie der Bundesregierung (https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/bmwk-bemaengelt-china-abhaengigkeit), die für 2023 angekündigt ist. Wichtig sei, dass die Maßnahmen der EU eingebunden würden. Von der EU erhoffe man sich ein Konzept zur Rohstoff- und Lieferkettensicherheit. Die Diversifizierung von Rohstoffen und Lieferketten sei auch in Deutschland im Fokus; die Bundesregierung müsse dies aber stärker unterstützen. „Neue Märkte werden gesucht“, so Goldenstede. Nur: Momentan zeige sich etwa durch Kürzungen des Außenwirtschaftsmesseprogramms des Bundeswirtschaftsministeriums eine gegenläufige Tendenz. Dies sei „beunruhigend“, da gerade die KMUs dieses Instrument nutzten, um auf Auslandsmärkten präsent zu sein.
Judith Illerhaus, Manager Medizintechnik und digitale Gesundheitswirtschaft bei der Exportinitiative Gesundheitswirtschaft (GTAI), verwies darauf, dass China nur eines von vielen Ländern sei, in denen Lokalisierungsdruck herrsche und heimische Wettbewerber eine Vorzugsbehandlung erhielten. „Etablierte Exportmärkte stehen bei vielen Unternehmen nun auf dem auf Prüfstand und unterlaufen einer neuen Evaluation.“ Andere Regionen, wie die europäischen Nachbarn, rückten deshalb wieder mehr ins Licht. Neben Afrika und Lateinamerika sei zudem auch Australien „aufgrund guter Rahmenbedingungen ein attraktiver Markt“.
Großbritannien: Warten auf Konkretes
Zwar endete die Übergangsregelung nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU, in der die EU-Vorschriften im gesamten Vereinigten Königreich weiter galten, ursprünglich am 31. Dezember 2020. Für die meisten Produktgruppen wurden Übergangsregelungen allerdings verlängert – im Falle der CE – zertifizierten Medizinprodukte beispielsweise bis zum 1. Januar 2023. Zwar verweist die britische Regierung auf ihrer Homepage darauf (https://www.gov.uk/guidance/uk-conformity-assessment), dass die meisten Waren, die derzeit der CE-Kennzeichnung unterliegen und ab Januar auf den dortigen Markt gebracht werden sollen, die britischen Anforderungen erfüllen müssten.
Die deutschen Wirtschaftsvertreter:innen sagten am Freitag aber unisono, dass es für die Zertifizierung „UK Conformity Assessment“ noch keine abschließend festgelegten Regelungen und Rahmenbedingungen, etwa zur technischen Dokumentation, gebe. Laut Hans-Peter Bursig, Geschäftsführer des Fachverbands Elektromedizinische Technik (ZVEI), bürde dies den Unternehmen Unsicherheiten aufgrund des unklaren Zulassungsprozesses auf. Weil die Produkte sich aber nicht änderten, rechne er zwar mit zusätzlichem Bürokratie-Aufwand für die Hersteller, aber es „gibt keinen Grund zu erwarten, dass das Großbritannien-Geschäft zusammenbricht“.
Nach EPSCO-Treffen: Kyriakides kündigt MDR-Änderungsvorschläge an
Das größte Sorgenkind der Medtech-Branche ist und bleibt die viel zu langsame Re-Zertifizierung von Produkten nach der neuen EU- Medizinprodukte-Verordnung (https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/eu-staaten-und-branche-fordern-ausnahmen) (EU-MDR). Nach der EPSCO-Sitzung der Gesundheitsministerien der EU- Mitgliedsstaaten am Freitag ist die Branche etwas hoffnungsvoller gestimmt, denn: EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides kündigte konkrete Änderungsvorschläge der MDR für Anfang 2023 an. Darauf hatten die Branchen-Vertreter:innen seit langem gedrängt (https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/mdr-frist-nur-mit- abgestimmter-aktion-einzuhalten). Wie der Bundesverband Medizintechnologie mitteilte (https://www.bvmed.de/de/bvmed/presse/pressemeldungen/epsco-meeting-bvmed-begruesst-mdr-initiative-schnelle-umsetzung-der-massnahmen-noetig?pk_campaign=src_NAL& pk_kwd=BVMed+E-Mail-Alert+-+2022-12-09%2016:12), sei konkret über die Verlängerung der Übergangsfrist und die Abschaffung der Abverkaufsfrist diskutiert worden. Fast alle Vertreter:innen aus den Gesundheitsministerien sollen dies unterstützt haben. „Der Vorschlag der Kommission zur Verbesserung der MDR muss nun zeitnah vorgelegt und umgesetzt werden, um die Patient:innenversorgung auch nach der aktuellen Übergangsperiode im Mai 2024 sicherzustellen“, forderte BVMed- Geschäftsführer Marc-Pierre Möll.