Medical Device Regulation, Kostensteigerungen und Auslandsmärkte – wie sieht die Situation für KMU im Moment aus? Welche Hürden sind für sie höher als für große Unternehmen und was kann dagegen getan werden? Um dies herauszufinden, führte Devicemed ein exklusives Gespräch mit Branchenvertretern.
Die Aussichten für die deutsche Medtech-Branche sind im Moment nicht gerade rosig. Und wo Unsicherheit herrscht, herrscht Kaufzurückhaltung. Der aktuelle DIHK-Gesundheitsreport hat ergeben, dass 47 Prozent der befragten Medizintechnik-Unternehmen eine schlechtere Entwicklung für das Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr erwarten und nur 11 Prozent eine positive Entwicklung. 93 Prozent der Medtech-Unternehmen beschäftigen weniger als 250 Mitarbeiter und zählen damit zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden von KMU erwirtschaftet. Für sie ist die momentane Situation besonders hart. „Wir sind alle gespannt was die Zukunft bringt – Herausforderungen und Chancen stehen vor uns. Wir tun unser Bestes, um durch diese krisenhaften Zeiten gut durchzukommen“, erklärt Erhard Fichtner, Vorstandsvorsitzender der GHA – German Health Alliance und Inhaber der Protec GmbH.
Denn neben Inflation, nicht beeinflussbaren politischen Rahmenbedingungen und Fachkräftemangel beutelt die Medical Device Regulation (MDR) die Branche noch immer sehr. Die Kosten für Rezertifizierungen und administrative, regulatorische Aufwände zwingen so manches Unternehmen in die Knie. „Man beschäftigt mehr Leute, die irgendetwas administrieren, als welche, die noch etwas produzieren. Das bedeutet, man muss eine kritische Masse überschritten haben, um mit der MDR Schritt halten zu können“, sagt Maik Greiser, Geschäftsführer der Atmos Medizintechnik. Dies stellt die Verantwortlichen vor die Frage: Lohnen sich Aufwand und Kosten oder nehme ich das Produkt vom Markt?
Innovationen werden ausgebremst. Wenn man ein Produkt hat, das man verbessern möchte, sind die Regularien viel zu teuer, als dass sich das lohnt.
Dieser Schritt geht allerdings genau in die entgegengesetzte Richtung, als die Umsetzung der MDR eigentlich anstrebt. Denn durch die strengeren Regularien soll die Patientensicherheit erhöht werden. Doch wie kann das erreicht werden, wenn wichtige Spezial- oder Nischenprodukte vom Markt verschwinden? „Am Ende des Tages wird es eine Marktbereinigung geben“, ist sich Greiser sicher. Denn nicht alle Unternehmen ächzen unter der MDR, meint er: „Es ist ja so, dass von der Sache nicht niemand profitiert. Die großen Unternehmen können davon profitieren. Denn sie bereinigen den Markt nach unten. Das Kaufverhalten wird gebündelt und auf die, die es sich noch leisten können, zentralisiert. Da ist ganz viel Lobby-Arbeit auch von der Industrie mit drin.“
KMU müssen bei MDR-Forderungen vereint auftreten
Doch was braucht es, damit die Regierung auf die Probleme, die durch die MDR verursacht werden, reagiert? „Das Problem ist, dass die MDR ein europäisches Gesetz ist. Für viele europäische Länder sind die Probleme noch nicht so groß wie für Deutschland“, erklärt Fichtner. Die GHA versucht bereits, mit anderen deutschen Verbänden im Schulterschluss zu gehen und die Probleme in Brüssel zu adressieren. Leider mangelt es noch an Bereitschaft, das Problem im großen internationalen Verbund anzugehen. „Doch es würde auch schon helfen, wenn die vielen KMU sich zu einer großen Stimme zusammentun würden“, ist sich Greiser sicher.
Wir haben in Deutschland eine starke Medtech-Branche, die auch stark im Export vertreten ist.
Um sich gegenseitig zu unterstützen und zu beraten, hat die GHA den Arbeitskreis Regulatory Ark unter der Führung von Armin Smajilovic, Leiter Marketing & Vertrieb sowie Prokurist bei der Haeberle GmbH + Co. KG, ins Leben gerufen. Dort werden Fragen rund um das Thema Regulatory Affairs behandelt. Aufgrund der hohen Priorität des Themas finden die Treffen in kurzen Abständen statt. „Das Wichtigste ist die Interaktivität. Unser Arbeitskreis lebt davon, dass die Leute Fragen stellen und dann von anderen Unternehmensverantwortlichen Antworten aus der Praxis erhalten“, erklärt Smajilovic. So hat die GHA mit dem Arbeitskreis eine Basis geschaffen, auf der sich Medizinprodukte-Hersteller auf dem kurzen Dienstweg austauschen, stärken und voneinander partizipieren können. Doch das reicht nicht, meint Smajilovic: „Es muss noch mehr über die Missstände gesprochen und berichtet werden. Es muss lauter werden!“
Ist Deutschland wirklich stolz auf seinen Mittelstand?
Brüssel will und kann nicht von der MDR abweichen. In gewisser Weise ist das auch gut, denn es braucht Regularien – aber die richtigen, in annehmbarem Maß. Greiser kritisiert: „Brüssel muss sich überlegen, was es will. Will man über regulatorische Prozesse eine Marktabschottung bewirken? Oder will man sicherere Medizinprodukte, die helfen, eine weltweite Patientenversorgung darzustellen, und die bestimmten Qualitäts- und Prozessansprüchen genügen müssen? Ja, wir als Unternehmen wollen sichere Medizintechnik, und ja, wir brauchen gesetzliche Rahmenbedingungen, aber die, die notwendig sind.“ Erste Zugeständnisse, wie die Fristenverlängerung für bestimmte Risikoklassen, helfen den Medizinprodukte-Herstellern allerdings nur bedingt. Immer wieder hört man von politischer Seite, dass Deutschland stolz auf seinen Mittelstand ist. Doch im Hintergrund keimt bei den Herstellern die Frage: Warum werden dann nur Kleinigkeiten bis nichts unternommen, um den Mittelständlern entgegenzukommen und sie zu unterstützen?
Wahrscheinlich muss es erst zu Ausfällen kommen, aber sobald diese passieren, wird ein Umdenken stattfinden.
„Wenn in Brüssel überlegt wird, wie vermieden werden kann, dass bestimmte Produkte für Krankenhäuser nicht mehr verfügbar sind, dann ist das viel zu kurz gedacht“, entgegnet Fichtner. „Wenn ich nur 30 Prozent meines Produktportfolios weiterhin führen kann, dann bin ich als Mittelständler morgen tot.“ Die schlimmere Folge, die dieses Szenario nach sich zieht, ist allerdings der Tod von Patienten. Denn wenn Hersteller vom Markt verschwinden, verschwinden auch Nischenprodukte vom Markt. „Nischenprodukte für Spezialanwendungen, die von kleinen Unternehmen gebaut wurden, die wird es in Zukunft nicht mehr geben. Oder auf jeden Fall nicht mehr in Europa“, prognostiziert Greiser.
Export: Welche Hürden und welche Chancen gibt es?
Nach Einschätzung von Judith Illerhaus, Managerin Medizintechnik und digitale Gesundheitswirtschaft bei GTAI Germany Trade and Invest, ist Europa durchaus ein sehr interessanter Markt. Denn dort werde gerade wahnsinnig viel Geld hineingepumpt. Doch auch Länder mit hohem Bevölkerungswachstum bieten den Herstellern ein hohes Exportpotenzial. „Durch die geopolitischen Verschiebungen der letzten Zeit rücken andere Regionen als Russland und China in den Fokus“, berichtet Illerhaus. Ihrer Meinung nach könnten Afrika oder die Region Asien interessante Absatzmärkte werden. Doch auch beim Export gibt es Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. Neben anderen Regularien gibt es auch kulturelle Unterschiede und veränderte Bedarfe. Früher wurde ein Produkt oft aus der Not heraus entwickelt und man merkte erst im Nachhinein, dass ein größerer Bedarf, ein weltweiter Pull auf dieses Produkt vorhanden ist. Doch diese Zeiten sind vorbei. „Heute pullen wir nicht mehr, heute müssen wir pushen“, unterstreicht Smajilovic die gegenwärtige Situation.
Afrika ist noch kein großer Markt, aber einer der am stärksten wachsenden Märkte. Und das sollten wir nicht außer Acht lassen.
In der heutigen Zeit müssen sich die Hersteller im Vorfeld überlegen: Für welche Ländermärkte entwickelt man das Produkt? Wo kann man das Produkt in hohen Mengen oder mit lukrativen Margen absetzen? Wie sind die vorherrschenden Erstattungssituationen? Was sind die Anforderungen vor Ort? Wenn man sich diese Fragen vergegenwärtigt und für sich beantwortet hat, geht es an die zielmarktorientierte Entwicklung des Produktes.
Der Hersteller für medizinisches Ausbildungsmaterial, 3B Scientific GmbH, stellt beispielsweise Torsen für das nicht-europäische Ausland her. „Da sich die Menschen in Afrika oder Asien in der Hautfarbe oder Gesichtsform von Europäern unterscheiden, stellen wir für diese Märkte unterschiedliche Torsen her. So kann die medizinische Ausbildung möglichst realitätsgetreu erfolgen“, erklärt Joachim Butzlaff, International Sales Manager bei 3B Scientific. Auch die Absatzchancen spielen eine Rolle. „Diese sind natürlich besser, wenn man die Produkte an den Markt anpasst“, gibt Butzlaff zu.
Lokalisierungsdruck erzeugt Marktprotektionismus
In Ländern wie Indien, Indonesien oder der Türkei müssen Export-Firmen zunehmend mit dem dort herrschenden Lokalisierungsdruck kämpfen. In diesem Fall stellt der Staat bei Ausschreibungen die Bedingung, dass ein erheblicher Anteil am Wert eines Produktes aus einheimischer Produktion stammen muss. „Wir haben bei Ausschreibungen in Indien beispielsweise über 50.000 Euro die Auflage, dass 25 Prozent in einheimischer Produktion gefertigt werden muss“, erzählt Butzlaff. Momentan können Hersteller diese Auflagen noch durch einheimische Software oder durch Komponentenlieferungen, die im Ausland zusammengebaut werden, umschiffen. „Das funktioniert aber nicht mehr lange“, befürchtet Butzlaff. „Wie soll ein kleiner Mittelständler dort eine Produktion aufbauen? Für eine geringe Stückzahl ergibt das keinen Sinn. Das kann sich irgendein großes Unternehmen leisten, aber kein Mittelständler.“ „Eines der ersten Länder, das damit begonnen hat, war Brasilien“, bestätigt auch Greiser den Lokalisierungsdruck. „Bei Vergabegeldern der öffentlichen Hand läuft es dort so wie auf Ebay, nur andersherum.“ Das bedeutet, auswärtige Hersteller müssen ihre Preise senken und einheimische Hersteller unterbieten. Dieses Szenario führt jedoch zunehmend zu einem Marktprotektionismus. „Wenn es einen lokalen Hersteller gibt, der die gleiche Technologie anbieten kann, dann muss ich den um 25 Prozent unterbieten, habe aber Transferpreise über Importzölle und Lokalisierung mal 2,3. Das heißt, ich komme da gar nicht hin“, zeigt Greiser die Probleme auf.
Die Aufwände, die verschiedenen Zertifikate für das jeweilige Zielabsatzland zu erhalten, kommen noch erschwerend hinzu. Freihandelsabkommen (Free Sales Certificate, FSC) mit wichtigen Zielländern, wie Indien, würden den Medizintechnik-Herstellern den Handel erleichtern. Denn ist ein Produkt bereits auf dem europäischen Markt zugelassen, erlaubt ein FSC die Produktvermarktung auch in ausländischen Märkten. In Pakistan oder Kolumbien ist dies bereits der Fall. „Und die Länder wollen uns – MDR hin oder her. Wenn einmal mit deutschen Medizinprodukten gearbeitet wurde, dann wird das geschätzt“, ermutigt Fichtner.
Unsichere Zeiten erfordern Mut
Die problematische vorherrschende Situation bedarf des Mutes. Sowohl von den Herstellern, die sich den Herausforderungen stellen und auch in schwierige Märkte gehen müssen, als auch von der Regierung, um Fehler einzugestehen und diese zu beheben. Denn das Patientenwohl muss geschützt werden und steht an oberster Stelle. Aus diesem Grund bleiben die Medizintechnik-Hersteller auch in unsicheren Zeiten und trotz immer neuer Hürden so gut es geht am Ball, um Patienten weiterhin eine medizinische Versorgung ermöglichen zu können. Ob Brüssel den Herstellern dieses Bestreben durch Anpassungen der MDR frühzeitig erleichtert oder ob es erst zu drastischen Ausfällen kommen muss, wird die Zukunft zeigen. „Gut sind die Regularien dann, wenn wir nichts mehr weglassen können, und nicht dann, wenn wir nichts mehr hinzufügen können“, stellt Greiser abschließend fest.