Die Herausforderungen der Medical Device Regulation zählen auch knapp ein Jahr nach Inkrafttreten zu den größten Problemen der Medtech-Branche. Erhard Fichtner, Vorstand der German Health Alliance, macht dies deutlich und fordert Sonderregelungen, um die Patientensicherheit zu gewährleisten.
Herr Fichtner, die neue Medical Device Regulation (MDR) wird intensiv in der Branche diskutiert. Worum geht es hier konkret und wo liegen die Problematiken für Medizinproduktehersteller?
Erhard Fichtner: Die MDR wurde 2017 veröffentlicht und gilt seit Mai 2021. Sie wurde konzipiert, um eine einheitliche europäische Gesetzgebung für Medizinprodukte zu etablieren. Die Regularien definieren die Zulassungskriterien, nach denen die Produkte in den Markt gebracht werden dürfen. Die Erhöhung der Patientensicherheit, insbesondere nach dem Silikon-Implantate-Skandal im Jahr 2010, aber auch der Wunsch nach einem optimal regulierten Binnenmarkt für Medizinprodukte standen hier im Vordergrund.
Was die MDR jedoch mit sich bringt, ist eine Gefahr für die gesamte Medtech-Branche in Deutschland. In der German Health Alliance (GHA) ist ein großer Anteil dieser mittelständischen Unternehmen vertreten, daher haben wir einen aktuellen und nahen Blick auf die Situation. Die GHA sowie andere Branchenverbände fordern daher eine deutliche Verbesserung und Realisierbarkeit.
Worin sehen Sie die größten Gefahren und welche Folgen bringen diese mit sich?
Fichtner: Die MDR-Richtlinie hemmt deutlich die Wettbewerbschancen für deutsche Medtech-Hersteller im internationalen Markt. Der immense Aufwand, um die neuen Regularien zu erfüllen, kollidiert mit den Fristen und trifft v. a. die mittelständischen und kleinen Unternehmen, die hier schnell an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. Sämtliche Produkte bis zum festgelegten Stichtag im Jahr 2024 neu zuzulassen, ist realistisch nicht zu schaffen. Hier muss eine deutliche Kurskorrektur von der Politik kommen, denn in der deutschen Medtech-Branche sind über 66 Prozent der Medizinprodukte für den Export bestimmt. Dies macht den Stellenwert dieser Akteure als wichtige Lieferanten im internationalen Gesundheitsmarkt deutlich.
Auch die involvierten Behörden, benannten Stellen und die gesamte Prozesskette in der Abwicklung müssen so aufgestellt und aufgestockt werden, dass die Umsetzung realisierbar wird. Dies fehlt bisher, konkret können mit den vorhandenen Kapazitäten auf der Zertifizierungsseite diese Volumina an Medizintechnik nicht durch das erforderliche Zulassungsverfahren gebracht werden.
Mit dem Engagement der GHA wollen wir erreichen, dass Bestandsprodukte und Nischenprodukte weiterhin für den Gesundheitsmarkt zur Verfügung stehen können. Dies ist für die Patientenversorgung bedeutsam. Ohne eine Sonderregelung würden hier Gefahren für Patienten entstehen, die auf die medizinische Versorgung angewiesen sind.
Welche Termine sind für die MDR relevant und was resultiert daraus?
Fichtner: Im Mai 2024 sollen die bestehenden Übergangsbestimmungen der MDR und sämtliche bisherigen Zertifikate ihre Gültigkeit verlieren. Konkret heißt dies, ab dann dürfen Hersteller ihre Medizinprodukte, die nach der bisherigen Richtlinie MDD in den Markt gebracht wurden, nicht mehr liefern.
Wie reagieren die deutschen Medtech-Hersteller auf die MDR-Situation?
Fichtner: Die hohen, zeitaufwändigen neuen MDR-Vorgaben stehen in Diskrepanz zu dem existierenden Fachkräftemangel, den wir in der Medtech-Branche schon länger beobachten. Gerade sind jedoch mehr Personal und v. a. Regulatory-Affairs-Spezialisten nötig, um die Zertifizierungsprozesse zu leisten. Einige Unternehmen ziehen Personal aus Entwicklung und Forschung ab und betrauen es mit regulatorischen Abwicklungen. Daraus folgt jedoch eine Stagnation in der Innovation und Weiterentwicklung von Produkten. Ein deutlicher Rückschritt für die Unternehmen, die bisher als moderne und richtungsweisende Akteure den hohen Status Medizintechnik Made in Germany geschaffen und gesichert haben. Manche Unternehmen stellen bereits Produktlinien ein oder reduzieren diese.
Nicht nur als Vorstand der GHA, sondern auch als Inhaber der Protec GmbH & Co KG sind Sie nah am Geschehen. Welche Lösungen sehen Sie als hilfreich an?
Fichtner: Unsere Forderungen decken sich mit denen der Verbände: Die Regelung für Bestands- und Nischenprodukte benötigt Übergangslösungen. Ergänzend müssen machbare Fristen und reale Kapazitäten mit der MDR-Übergangsbestimmung in Einklang gebracht werden. So können Liefereinstellungen von Kleinserien- und Nischenprodukten umgangen werden.
Es gibt zu wenige benannte Stellen und somit einen großen Zertifizierungsstau. Diese Stellen müssen dringend aufgestockt werden. Die verantwortliche Politik in Deutschland muss zeitnah ein Verbesserungskonzept auf EU-Ebene einbringen und sich für eine Realisation engagieren.
Wie sieht die Unterstützung der GHA für betroffene Unternehmen konkret aus?
Fichtner: Um Unternehmen zu stärken, haben wir den Arbeitskreis Regulatory Ark gegründet. Hier bieten Unternehmen Erfahrungsaustausch, Kompetenzen und so genanntes Wissens-Sharing an.
Wir sehen völlig unabhängig von Produktbereichen und Unternehmensgrößen einen drohenden Einbruch in der Verfügbarkeit von deutschen Medizinprodukten. Auch Betriebsschließungen oder Übernahmen müssen aus unserer Sicht verhindert werden. Durch unseren verbandsübergreifenden Appell an die Entscheider in Brüssel machen wir uns stark für die Thematiken. Wir fordern zeitnahe Entscheidungen und ein Umdenken hinsichtlich der MDR-Konzeption. Die deutsche Medtech-Branche muss wettbewerbsfähig und innovativ bleiben, sie ist Arbeitgeber für viele Beschäftigte und eine wichtige Säule der deutschen Wirtschaft.
Seitens der GHA machen wir unsere Kompetenzen transparent und unterstützen mit Expertenwissen in Regulatory Affairs. Es ist uns ein dringendes Anliegen, dass Medizintechnik Made in Germany im internationalen Gesundheitsmarkt weiterhin bestehen und somit einen wichtigen Beitrag für die globale Gesundheit leisten kann.
„Die MDR bringt eine Gefahr für die deutsche Medtech-Branche mit sich“ (devicemed.de)