Die Parkinson-Erkrankung breitet sich weltweit rasant aus: „Die Zahl der Betroffenen wird sich in den nächsten 25 Jahren verdoppeln, gleichzeitig wird es mehr Patienten geben, die spätere Stadien der Erkrankung erreichen.“ Prof. Dr. Joaquim Ferreira von der Universität Lissabon machte in seiner Keynote beim 4. Parkinson-Netzwerkkongress am 1. und 2. Dezember in Berlin eindringlich deutlich, dass neurodegenerative Erkrankungen, so auch Parkinson, schon bald nicht mehr nur ein Randthema für die Gesellschaft sein werden. Er stellte vor, welche Erfolge sich mit multiprofessionellen Versorgungsmodellen erzielen lassen. Besonders wichtig seien dabei intensive kognitive und Bewegungstherapien, Unterstützung beim Selbstmanagement, ergänzende digitale Tools und die soziale Teilhabe. Interessanter Vergleich: Das Netzwerk, das Parkinson-Patienten betreue, sei wie eine Medikation, sagte Ferreira. Und so könne man auch die Effekte messen, die aus dieser Intervention entstehen.
Netzwerke brauchen politische Unterstützung
Auch die Vertreter:innen der regionalen Netzwerke, die im Parkinson Netzwerke Deutschland e.V. (PND) organisiert sind, sind sich einig, dass die Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen und die Verknüpfung des medizinischen mit dem sozialen Bereich ganz entscheidend für die Qualität der Parkinson-Versorgung sind. Sie forderten deutlich mehr Gehör bei der Politik, denn Motivation und Tatendrang alleine reichten nicht aus. Prof. Dr. Tobias Warnecke, Vorstandsvorsitzender des Vereins, betonte, dass die Arbeit im Netzwerk vor Ort und damit der Mehrwert, der für die Patienten entsteht, endlich finanziert werden müsse. „Ohne finanzielle Unterstützung bleiben wir ein Land der Pilotprojekte.“ Auch digitale Lösungen, die die Zusammenarbeit vereinfachen, seien dringend nötig.
Die Digitalisierung war auch Schwerpunkt der politischen Keynote von Tino Sorge, MdB und gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Der digitale Fortschritt dürfe nicht durch Rechtsunsicherheiten ausgebremst werden. Die Aufgabe von Politik sei es, Möglichkeiten zu schaffen, dass Daten auf einem hohen Sicherheitslevel für Forschung und die Weiterentwicklung der Versorgung genutzt werden könnten. Die Chancen, die daraus entstünden, müssten mehr wiegen als die Risiken, denn eine absolute Sicherheit im Zusammenhang mit Daten könne es nicht geben. Die Forderungen der Netzwerkvertreter:innen kann Sorge nachvollziehen. „Netzwerke werden im jetzigen System nicht angemessen unterstützt, vor allem, weil die Effekte erst mittel- und langfristig zu spüren sind.“ Um Gehör zu finden, seien in unserem Politiksystem sehr viel „Kontinuität und Lautstärke“ notwendig, betonte er.
Sektorales Denken durch regionales Denken überwinden
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit dem Titel „Netzwerke politisch gedacht – im Alltag gemacht (und erlitten)“, betonte Prof. Dr. Armin Grau, MdB, Bundestagsabgeordneter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass man das sektorale Denken durch regionales Denken überwinden müsse. Die verschiedenen Anbieter – Krankenhäuser, niedergelassene Ärzt:innen und weitere Berufsgruppen – sollten regional auf vertraglicher Ebene zusammenarbeiten und auch Krankenkassen müssten sich in Gruppen zusammenschließen sowie Kommunen stärker ins Boot geholt werden. „Prävention und Gesundheitsförderung müssen dabei im Vordergrund stehen“, sagte Grau. Regionen, in denen es schon Gesundheitsnetzwerke gäbe, hätten da natürlich einen Vorteil.
Gesetzgeberisch ziehe es sich leider mit der Umsetzung des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes, kurz GVSG, berichtete Dr. h.c. Helmut Hildebrandt, Vorstandsvorsitzender von OptiMedis. Parallel gebe es aber auch intensive Diskussionen zum Krankenhausbereich, was sich wiederum auch auf den ambulanten Bereich auswirke, denn: „Die Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft ist eine große Chance für die intersektorale Zusammenarbeit in Gesundheitsregionen“.
Fehlende Finanzierung für Parkinson-Netze
Prof. Dr. Carsten Eggers, stellvertretender Vorstandvorsitzender des PND und Chefarzt der Neurologie im Knappschaftskrankenhaus Bottrop machte darauf aufmerksam, dass die jetzige Förderung von Netzen zu kurz greife. „Wir fallen aus der Förderung von Ärztenetzen raus, weil wir auf eine Indikation beschränkt sind. Aktuell gibt es keine realistische Finanzierungsoption für unsere Parkinson-Netze. Eggers forderte, politische Maßnahmen praxisnäher zu gestalten. „Was sich die Politik am grünen Tisch ausdenkt, kommt in der Praxis nicht an. Dabei haben die Netze oft schon Lösungen parat.“
Beim Thema Finanzierung regte Helmut Hildebrandt an, einen Teil des Innovationsfonds zu einem Umsetzungsfonds zu machen, um die Akteur:innen vor Ort bei der Weiterentwicklung der Versorgung hin zu mehr Prävention, Gesundheitsförderung und Aktivierung von Patient:innen zu unterstützen (weiterführende Informationen zu diesem Vorschlag lesen Sie hier). „Parkinson ist heute eine Krankheit, bei der wir viel mehr Möglichkeiten haben, eine gute Lebensqualität über lange Zeit zu halten. In den regionalen Netzwerken haben wir dafür schon ganz viele Beispiele entwickelt, aber sie müssen auch finanziert werden.“ Längerfristig würden damit dann wiederum Kosten eingespart.
Auch Dr. Amelie Gerhard, Mitglied des Vorstands KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V., sagte: „Es gibt viele gute Ideen, aber auch viele strukturelle und finanzielle Hürden, um sie flächendeckend umzusetzen. Deswegen müssen wir weg von Leuchttürmen, hin zu Straßenlaternen.“ Gleichzeitig wünscht sie sich einen positiveren Blick in die Zukunft. „Statt Verlust- und Angstkommunikation wie in der Klimakrise müssen wir an das denken, was wir nach der Transformation gewinnen können.“
Netzwerke sind wichtig für die Forschung
„Wir brauchen Netzwerke auch, um gemeinsam zu forschen“, so formulierte es Prof. Dr. Lars Timmermann, Präsident Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), in seinem Grußwort. Und auch für die Weiterbildung von Neurolog:innen seien Netzwerke ein wichtiger Faktor. Die DGN unterstütze daher die Netzwerkvorhaben gerne.
Status Quo beim neu gegründeten PND
Nach einem gemeinsamen Netzwerkabend stellte Tobias Warnecke am zweiten Kongresstag den Status Quo in der Entwicklung des PND vor. „Die Gründung des Vereins als Dachorganisation, in der alle deutschen Netzwerke überregional gemeinsam agieren können, war der erste Schritt, erklärte er. „Nun geht es darum, aus den einzelnen regionalen Netzwerken eine große Gemeinschaft zu schaffen, Wissen zu verbreiten und uns politisch für innovative Versorgungsmodelle und eine Finanzierung der Parkinson-Netze stark zu machen.“ Ein entscheidender Schritt sei hierbei die Entwicklung von Kriterien für die Registrierung regionaler Netzwerke im PND. Diese könnten auch mit Mindestanforderungen gleichgesetzt werden. In Deutschland gibt es im ambulanten Bereich bisher keine Standards für spezialisierte Parkinson-Versorgende, weshalb Netzwerke die Aufgabe der Qualitätssicherung übernehmen. Auch ging Warnecke auf die neu gestaltete Website unter www.parkinsonnetzwerke.de ein.
Danach startete die Arbeit in Kleingruppen an Thementischen. Die Ergebnisse lesen Sie übersichtlich dargestellt im folgenden Graphic Recording:
Netzwerke ermöglichen den Blick über den Tellerrand
Einen interessanten Einblick in die Praxis gab Lena Hollah, Logopädin und FEES-Ausbilderin in der Neurologie am Klinikum Osnabrück. Für sie ist die Mitgliedschaft im PND bzw. im regionalen Parkinsonnetz Osnabrück+ ein großer Gewinn: „Ich habe nicht nur die Möglichkeit, mich mit Kolleg:innen aus dem gleichen Fachbereich, der Logopädie, auszutauschen. Bei den regelmäßig stattfindenden Plenumstreffen kann ich auch über meinen Tellerrand hinausschauen und erfahre, was beispielsweise Physiotherapeuten oder Ergotherapeutin in der Parkinson-Behandlung machen oder lerne die Neurolog:innen kennen, die die Patient:innen überweisen.“ Auch gebe es immer wieder die Möglichkeit, das Fachwissen aufzufrischen und zu erweitern.
Neue Erkenntnisse aus der Parkinson-Forschung
Wissenschaftlich besonders spannend war der Vortrag von Prof. Dr. Brit Mollenhauer Chefärztin Paracelsus-Elena-Klinik Kassel und Klinik für Neurologie, Universitätsmedizin Göttingen. Parkinson beginne oft schon viele Jahre bevor die Krankheit überhaupt bemerkt werde, es also zu einem motorischen Parkinson käme, berichtete sie. „Wir müssen Parkinson-Patienten also viel früher diagnostizieren und dann auch bereits mit der Behandlung beginnen.“ Die Früherkennung sei dank eines Biomarkers schon möglich, der zuverlässig bis zu acht Jahren vor Beginn der Symptome zeige, ob jemand eine Parkinson-Erkrankung entwickeln werde. Wichtig seien dann vor allem Bewegung, Ernährung und die optimale Einstellung von einem eventuell zusätzlichen Diabetes.
Mit „Lautstärke und Kontinuität“ für die Ziele des PND
Carsten Eggers schloss den Kongress mit Blick auf die weiteren Pläne des PND: „Die Motivation und der Tatendrang vor Ort sind da. Das ist eine gute Grundlage, um die interprofessionellen Netzwerke sowohl in ihren lokalen Aktivitäten zu unterstützen als auch übergreifende Strukturen aufzubauen.“ Hierfür werde sich der PND weiter einsetzen – auch mit der von Tino Sorge erwähnten „Lautstärke und Kontinuität“.
Als Moderatorin führte Britta Opel durch die beiden spannenden Kongresstage. Sie ist u. a. Dipl.-Pflegewirtin, Moderatorin, systemischer Coach und Referentin im Gesundheitswesen und dem Thema Parkinson über eine familiäre Situation besonders verbunden.
Zum Hintergrund
Veranstalter des Kongresses, der im nächsten Jahr zum fünften Mal stattfinden soll, waren der Parkinson Netzwerke Deutschland e.V. und OptiMedis, ein Unternehmen für Management, Forschung und Analytik im Gesundheitswesen, das die Aktivitäten und Geschäfte des Vereins seit Mai 2023 führt.