Anlässlich des 5. German – East European & CIS Health Forums in Berlin beschrieben Experten aus der Ukraine den Zustand des Gesundheitssystems und warben um deutsche Unterstützung
Presentations_5th German – East European Health Forum
Wie funktioniert das ukrainische Gesundheitssystem unter Kriegsbedingungen und wie lässt sich die Hilfe für den Wiederaufbau effizient organisieren? Diese beiden Fragen prägten das 5th German – East European & CIS Health Forum, das der Ost-Ausschuss gemeinsam und die GHA – German Health Alliance in Berlin organisierten. Neben zahlreichen Expertinnen und Experten aus dem deutschen und ukrainischen Gesundheitssektor reiste auch der stellvertretende ukrainische Gesundheitsminister Oleksii Iaremenko an.
Iaremenko beschrieb den rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Situation vor Ort, aber auch die langfristigen Wiederaufbaupläne der Regierung. Unter anderem berichtete er von 1077 Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft, die bislang Kriegsschäden davongetragen hätten. 144 Krankenhäuser seien komplett zerstört worden. Vor allem die Bezirke Kyiv, Chernihiv, Donetsk, Mykolaiv und Charkiv seien durch Raketenangriffe stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Zur Schreckensbilanz der russischen Aggression gehörten zudem 422 getötete Kinder, 28 getötete Ärzte und Krankenschwestern und 14 Millionen vertriebenen Ukrainerinnen und Ukrainern. Dennoch sei es gelungen, das staatliche Gesundheitswesen weitgehend stabil zu halten, so Iaremenko. Dazu hätten über 9000 Tonnen an Hilfsgütern aus über 60 Ländern beigetragen. Die internationale Hilfe würde über das staatliche Gesundheitsministerium inzwischen zentral koordiniert, Internetportale wie MedData machten die benötigten Hilfsgüter transparent.
Gesundheitsstaatssekretär Thomas Steffen versprach in seiner Keynote der Ukraine die tatkräftige Unterstützung der Bundesregierung in enger Abstimmung mit deutschen Unternehmen und Hilfsorganisationen. „Die Bundesregierung wolle, dass die Ukraine aus diesem Krieg gestärkt hervorgehe. „Wir müssen jetzt zwei Dinge gleichzeitig schaffen: Das Corona-Virus bekämpfen und die Ukraine unterstützen“, so Steffen. Deutschland engagiere sich hier auch mit dem Vorsitz der G7-Länder, um internationale Hilfe für die Ukraine zu organisieren, so lange sie diese benötige.
In Ihren Eröffnungsreden unterstrichen Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms, der GHA-Vorsitzende Roland Göhde und Martina Unseld, Sprecherin des gemeinsamen Arbeitskreises Gesundheitswirtschaft von Ost-Ausschuss und GHA, die große Bereitschaft der deutschen Wirtschaft, den Wiederaufbau in der Ukraine und speziell des Gesundheitssektors voranzutreiben. „Wir alle sind mit dieser Katastrophe in der Ukraine konfrontiert, müssen zusammenstehen und die Schwächeren unterstützen“, betonte Martina Unseld. Michael Harms warb für eine bestmögliche Integration der Privatwirtschaft in den Wiederaufbauprozess durch effiziente Strukturen, und bedankte sich bei PwC für die Bereitstellung der Räumlichkeiten sowie bei den Kollegen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, der AHK Ukraine, der polnischen Investitions- und Handelsagentur PAIH, dem Medizintechnikverband Spectaris und der Kanzlei Arzinger Ukraine für deren Unterstützung bei der Konferenzorganisation. Roland Göhde hob hervor, dass die Leitveranstaltung zum fünften Mal als offizielles Side Event für Osteuropa im Rahmen des World Health Summits stattfand. Mit Blick auf die vielen internationale Krisen wie den Krieg, die damit verbundene Ernährungs- und Energiekrise sowie die Corona-Pandemie sei eine Bündelung der Kräfte wichtiger denn je.
Paneldiskussionen zur vertieften Zusammenarbeit
Die Konferenz fand unter dem Motto “Paradigm Shift for the Health Sector? Recovery Plans for Ukraine and Further Development of the Health Infrastructure in Eastern Europe” statt. Nach den Einführungsreden wurden in zwei Paneldiskussionen Ansätze für eine Zusammenarbeit vertieft. Im September hatte dazu eine Arbeitsgruppe der deutschen Gesundheitswirtschaft Vorschläge für den Wiederaufbau des Gesundheitssektors vorgelegt, die im Ost-Ausschuss-Dossier „Rebuild Ukraine“ enthalten sind und das hierals Download zur Verfügung steht.
Im ersten Diskussionspanel, das Sergey Lisnitschenko von der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer moderierte, beschrieben vier Expertinnen den Umgang ihrer Organisationen mit der Kriegssituation und den Weg von der akuten Nothilfe zu langfristigen Wiederaufbaustrategien. Irmgard Buchkremer-Ratzmann von der deutschen Hilfsorganisation action medeor schilderte die Nothilfe für die Ukraine, die bereits zwei Tage nach Kriegsbeginn mit einem ersten Hilfstransport begonnen habe. Inzwischen seien 200 Institutionen in der Ukraine mit medizinischen Hilfsgütern beliefert worden. Dabei werde darauf geachtet, dass möglichst nur Güter geliefert werden, bei denen akuter Mangel vorläge und die nicht selbst im Land bereitgestellt werden könnten. Action medeor arbeite bei der Koordination eng mit dem ukrainischen Gesundheitsministerium zusammen und nutze das eigene Portal Medical Bridge, um Anfragen ukrainischer Einrichtungen zu sammeln.
Wie alle Redner aus der Ukraine dankte Ksenia Velychko vom ukrainischen Pharmaunternehmen Darnitsa Group den deutschen Partnern für ihre Unterstützung in schwerer Zeit. Noch vor wenigen Tagen habe sie mit ihrer kleinen Tochter sieben Stunden in einem Bunker gesessen, als Kyiv mit russischen Raketen beschossen worden sei. Trotz des Krieges habe ihr Unternehmen die Produktion ununterbrochen aufrechterhalten können. „Wenn wir es schaffen, unter Raketenbeschuss weiterzuarbeiten, dann werden wir auch in Friedenszeiten ein sehr verlässlicher Partner für Europa sein“, so Velychko.
Yevgeniya Piddubna von JSC Farmak berichtete, wie die Firma in den ersten Kriegstagen in eine dramatische Situation geriet. Am Standort des zentralen Warenlagers hätten sich damals ukrainische Verteidiger von Kyiv aufgehalten, um russische Angriffe abzuwehren. Tagelang sei man nicht mehr zum Lager vorgedrungen, nur um danach festzustellen, dass das Gebäude bei den Kämpfen zerstört worden war. Es habe danach 14 Tage gedauert, bis in kleinerem Umfang wieder produziert werden konnte. Inzwischen habe man die Logistik dezentralisiert, neue Lager im ganzen Land eingerichtet und produziere wieder auf Vorkriegsniveau.
Yevgeniya Ocheretko, die für Arzinger Ukraine Unternehmen insbesondere aus dem Bereich Life Sciences & Healthcare in Rechtsfragen berät, wies darauf hin, dass die ukrainische Regierung in der Kriegssituation viele schnelle Entscheidungen treffen musste, um das Überleben des Landes zu sichern. Dennoch habe die Regierung auch die längerfristige Perspektive im Blick und arbeite an einer Angleichung des Rechtsrahmens an EU-Standards.
Andrii Shapovalov, Geschäftsführer des deutschen Unternehmens B Braun in der Ukraine, wurde live aus Kyiv zugeschaltet und berichtete, dass das Unternehmen inzwischen Weiterbildungen für 600 Krankenschwestern organisiert habe. Auch wenn die weiteren Vorhersagen zum Kriegsverlauf schwierig seien, wolle sich das Unternehmen am Wiederaufbauprozess in der Ukraine weiter aktiv beteiligen. Dabei sollen Aus- und Weiterbildungsstrategien, Kompetenzentwicklung und Digitalisierung eine wichtige Rolle spielen.
Unterstützung der Bundesregierung
Wie unterstützt die Bundesregierung die Unternehmen sowohl bei der Erkundung neuer Märkte als auch wenn Schadensfälle und schwerwiegende politische Risiken auftreten? Zwischen den zwei Gesundheitspanels boten die Experten Matthias Koster von PwC und Igot Sufraga von Euler Hermes zu diesem Thema einen prägnanten Experteninput in die Perspektiven für Investitions- und Exportkreditgarantien der Bundesrepublik Deutschland für Osteuropa und Zentralasien.
Im Zuge der Pandemie etablierten sich deutsche Unternehmen aus dem Gesundheitssektor durch ihre starke Präsenz in ganz Osteuropa als „Trusted Advisor” für Regierungen sowie für staatliche und privaten Institutionen in der gesamten osteuropäischen Region. Als wesentliche Erfolgsfaktoren gelten die gute Vernetzung in der Region, der wachsende Privatsektor, die Fortschritte in der Digitalisierung sowie die aktive Beteiligung in der Akutversorgung während der Pandemie.
Das zweite Panel im Rahmen des Health Forums, das von Karolina Król-Skowyrska von PAIH moderiert wurde, widmete sich den folgenden Fragen: Wie meistern die Unternehmen die vielfältigen Herausforderungen auf den dynamischen Märkten Osteuropas? Wie sehen sie die weitere Entwicklung des Gesundheitssektors in der Region?
Dr. Bernt Bieber, Senior Vice President Direct Export Sales bei Siemens Healthineers, berichtete von Herausforderungen aber auch Lösungsansätze bei den Themen Finanzierung und PPP-Projekte. Hier sei ein ganzheitlicher Ansatz besonders wichtig, um kleinere und ärmere Länder modernste Technologien bereitstellen zu können. Der Zugang zur guten Gesundheitsversorgung sei entscheidend für einen Wirtschaftsaufschwung und ein gutes Ausbildungssystem. Durch ein leistungsfähiges Versorgungssystem könne man Abwanderung abwenden und Kompetenzentwicklung stärken. Ein Paradebeispiel für digitales Lernen und Wissensaustausch sei ein virtuelles Tumorboard-Projekt in Zusammenarbeit mit der GIZ.
Blick auf Usbekistan und Polen
Wie bringt man Gesundheitsexperten auf die lokalen Märkte? Zu der Frage äußerte sich Dr. Alexej Swerdlow, CEO des Unternehmens Opasca, das ein starkes Standbein bei der Digitalisierung klinischer Prozesse hat. Derzeit liegt der Fokus des Unternehmens auf der Modernisierung des Gesundheitswesens in Zentralasien. Als positive Erfahrung aus der Pandemiezeit berichtete Swerdlow über ein OPASCA/GIZ-Projekt zur Bereitstellung und Inbetriebnahme eines mobilen Covid-Labors in Usbekistan.
Zu geplanten Aktivitäten mit Usbekistan, darunter eine Delegationsreise 2023, berichtete Marion Lükemann, Leiterin der Geschäftsstelle der Exportinitiative Gesundheitswirtschaft bei Germany Trade & Invest. Usbekistan wird von der Weltgesundheitsorganisation als Modellland für die Umsetzung von Gesundheitsreformen betrachtet, die Zahl der Gesundheitseinrichtungen hat sich dort in den vergangenen Jahren verdoppelt. In der deutschen Nachbarschaft sei besonders Polen ein attraktiver und wachsender Markt. Die Regierung arbeite dort an einem verbesserten Zugang zur Primärversorgung, die durch den EU-Kohäsionsfonds finanziert werde.
Aus polnischer Unternehmensperspektive berichtete Aleksander Kotulecki von Technomex. Das Unternehmen bietet Lösungen für Rehabilitationszentren an und ist stark exportgetrieben. Etwa. 40 Prozent der Exporte gehen in die EU, Projekte werden aber auch in Kasachstan und der Ukraine umgesetzt. Das Unternehmen habe die ukrainischen Partner sehr aktiv unterstützt, derzeit bestehe die Herausforderung, dass man keine Möglichkeiten habe, Partner aus der Ukraine zum Wissenstransfer nach Polen einzuladen. Hinzu kämen die derzeit hohen Logistik- und Energiekosten.
Das Panel rundete Dr. Bernhard Braune, Leiter des Referats Globale Gesundheitspolitik und -Finanzierung im Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung BMZ ab. Beim Thema globale Gesundheit sei das Verständnis für die politischen Rahmenbedingungen, auch bezüglich der Unterstützung für die Ukraine, sehr wichtig. Zentral sei zudem die multilaterale Zusammenarbeit mit UN-Organisationen. Das Referat von Bernhard Braune konzentriert sich auf Krankenhauspartnerschaften in der Ukraine. Charité und Universitätskliniken sind beteiligt. Ausweitung der Aktivitäten mit Fokus auf psychischer Gesundheit und Erste-Hilfe-Medikamenten ist geplant.
Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hoben hervor, wie wichtig es sei, den Austausch und die Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich weiter zu intensivieren. Dazu bietet der gemeinsame OA/GHA Arbeitskreis den passenden Rahmen – bis zum nächsten Health Forum im Rahmen des World Health Summit.
Andreas Metz, Petya Hristova,
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft