Im Gespräch erklärt Roland Göhde, Vorstandsvorsitzender der GHA – German Health Alliance, einer Initiative des BDI, warum Gesundheitsfragen auch aus Sicht der Wirtschaft ihren festen Platz beim G7-Gipfel haben und warum eine Umverteilung auf globaler Ebene unausweichlich ist.
Herr Göhde, was sind Ihre Erwartungen an den G7-Gipfel?
Für die G7 und B7 muss Gesundheit dauerhaft zu den Themenfeldern mit besonders hoher Priorität zählen. Das betrifft übrigens auch G20 und B20 sowie weitere multilaterale Formate und Prozesse. Eine Kernlehre aus den dramatischen Folgen der globalen Coronavirus-Pandemie ist ja schließlich, dass Gesundheit eng verknüpft mit anderen Bereichen wie Klimawandel, Ernährung, Bildung, Lieferketten oder auch politischer und wirtschaftlicher Stabilität gedacht werden muss. Der Aufbau leistungsfähiger Gesundheitssysteme und der diskriminierungsfreie Zugang zu medizinischer Versorgung sind von grundlegender Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung von Ländern und Gesellschaften weltweit.
Und aus der Sicht eines Wirtschaftsvertreters?
Gesundheit ist in der Tat ein bedeutender ökonomischer Faktor. Gerade Deutschland zählt hier zu den führenden Spitzenstandorten in allen Bereichen, sei es Pharma, Medizintechnik, Biotechnologie oder E-Health. Gesundheit gehört zu den Wirtschaftszweigen, die in den kommenden Jahrzehnten weltweit weiter außerordentlich wachsen werden – mit jährlichen Wachstumsraten von bis zu 14 Prozent. Gesundheit verbindet also soziale Nachhaltigkeit mit wirtschaftlichen Chancen, ist zudem vor allem auch für den Globalen Süden ein hochpotenter Jobmotor.
Mitte Mai wurde ein Bericht veröffentlicht (https://background.tagesspiegel.de/gesundheit/fortschritt-bei- entwicklungszielen-hinter-erwartungen), wonach die Fortschritte bei den Nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen weiter hinter den Erwartungen zurückbleiben und die Länder nur etwa ein Viertel dessen erreicht haben, was erforderlich ist, um die SDG- Gesundheitsziele bis 2030 zu erreichen. Sind die G7 in der Vergangenheit ihrer Verantwortung als ressourcenstarke Akteure nicht ausreichend gerecht geworden und falls ja, wird sich dies mit den Lehren aus der Pandemie ändern?
Die COVID-19-Pandemie hat ein Brennglas auf die außerordentlich hohe Bedeutung der Gesundheitssystemstärkung als grenzüberschreitende politische Aufgabe gelegt. Aber das ist im Grunde genommen nicht neu und hätte bereits eine „Lesson learned“ aus dem vierzig Jahre andauernden Kampf gegen HIV/AIDS und spätestens seit der Ebola-Epidemie in Westafrika im Jahr 2014 sein müssen. Bei allen Fortschritten der vergangenen Jahre dürfen wir den Blick nicht weiter von den „Lessons noticed but not yet learned“ ablenken. Die G7-Agenda wie auch die B7- Handlungsempfehlungen (https://english.bdi.eu/publication/news/b7- health-policy-recommendations/) sind hier richtig gesetzt, insbesondere in Bezug auf die Kernaufgabe der ausreichenden Finanzierung, Ausstattung und Stärkung von Gesundheitssystemen und -infrastrukturen und beispielsweise die multilaterale Bekämpfung einzelner Krankheiten wie AIDS, Tuberkulose, Malaria oder die antibiotika-resistenten Keime.
Braucht es dafür die geforderte stärkere Weltgesundheitsorganisation?
Absolut. Die globale Gesundheitsarchitektur ist ein sehr komplexes und fragmentiertes Ökosystem mit Wechselwirkungen zwischen Themen, Entwicklungen und Akteuren. Deshalb brauchen wir eine multilaterale Institution, die diese Wechselwirkungen abstimmen und moderieren kann. Das – neben der Wahrnehmung normativer Kernaufgaben – kann nur eine möglichst starke WHO sein, die allen 195 Mitgliedsstaaten der UN offensteht und durch ihre Mitglieder seit rund 75 Jahren mandatiert ist. Die Stärkung der WHO, nicht nur in Bezug auf die Finanzierung, bildet daher eine ganz zentrale Kernaufgabe für die Staatengemeinschaft – allen voran für die G7. Ohne diesen koordinierenden Kernorganismus wird das Global Health Ecosystem die Herausforderungen und Aufgaben nicht hinreichend erfolgreich lösen können – das gilt nicht nur für die Bewältigung künftiger Pandemien.
Die WHO geriet in der Vergangenheit immer wieder aufgrund ihrer Geldgeber in die Kritik. Ein Vorwurf war eine zu hohe anteilige Finanzierung mancher Länder, ein anderer die Finanzierung über private Geldgebern und Industrie-Beiträge. Nun wird im B7-Papier dennoch „die Beteiligung des Privatsektors an den WHO- Verhandlungen“ empfohlen. Warum und wie ließe sich das ausgestalten?
Es geht hier um einen gut strukturierten, auf Dauer angelegten und transparent einzeln wie auch gemeinsam mit allen Sektoren geführten Dialog als zwangsläufig benötigter Baustein und Erfolgsschlüssel. Der Privatsektor spielt als Know-how-Träger, Entwickler, Innovator und Solution Provider „on the ground“ eine sehr wichtige Rolle. Vor allem sektorübergreifende Kooperationen geben Antworten auf die zukünftigen, globalen Gesundheitsfragen. Nicht ohne Grund ist in dem finalen SDG17 „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“ der Agenda 2030 der Vereinten Nationen eine solche Zusammenarbeit ganz bewusst integriert. Eine fehlende Beteiligung jedes anderen Sektors würde ebenfalls dazu führen, dass die UN-Nachhaltigkeitsziele weit außer Reichweite bleiben.
Allgemein ist dem Papier zu entnehmen, dass die Wirtschaft – und ihre Interessensvertreter: innen – gerne mit Regierungen enger Hand in Hand an Zielen arbeiten will. Vor allem Entwicklungsländer würden von einer besseren Zusammenarbeit profitieren, heißt es. Was bedeutet das im Detail für Regierungen und Unternehmen?
Entscheidend sind Konsequenz und Kontinuität in offenem Dialog und transparenter Zusammenarbeit. Aber nicht nur zwischen Politik und Wirtschaft, sondern auch in Kooperation mit anderen Sektoren, zu denen auch Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen, die Zivilbevölkerung und natürlich die Wissenschaft zählen. Wir wollen den Beweis antreten, dass es sich lohnt, dem Privatsektor und der industriellen Gesundheitswirtschaft in Deutschland für diese Zusammenarbeit das Vertrauen zu schenken. Bei allen Strategien und Positionspapieren zu Themen Globaler Gesundheit muss es doch letztendlich darum gehen, gemeinsam mit Partnerländern und -regionen ganz konkrete Projekte und Verbesserungen umzusetzen. Als GHA haben wir zum Beispiel gemeinsam mit Partnerorganisationen und der Bundesregierung eine Umsetzungsinitiative auf den Weg gebracht, die mit Entwicklungsländern eine neue Form von Gesundheitspartnerschaften zur Gesundheitssystemstärkung etablieren möchte. Ein erstes Pilotprojekt wurde nun in Ghana aufgesetzt.
An mehreren Stellen des Papiers wird – in unterschiedlichen Kontexten – darauf verwiesen, dass die international teils sehr unterschiedlichen Vorschri!en und Gesetze letztlich immer den Zugang zu medizinischen Produkten einschränken. Braucht es mehr bilaterale Abkommen und eine Harmonisierung von Zulassungsregeln?
Es muss uns allen um die Gewährleistung eines weltweit gerechten Zugangs zu wichtigen Impfstoffen, Therapeutika und Diagnostika gehen. Nicht erst die Coronapandemie zeigt auf, dass unterschiedliche Wirkungsfaktoren zusammenwirken: Wir brauchen widerstandsfähige globale Lieferketten, offene Märkte für den regelbasierten Handel, die Angleichung internationaler technischer Standards und effiziente behördliche Genehmigungsverfahren. Und in der Tat ist in diesem Kontext auch die bilaterale Zusammenarbeit wirksam und somit erforderlich, um Abkommen, Zölle, Steuern und nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen – dabei immer in einer möglichst weitgehenden multilateralen Einbettung.
Viele der B7-Empfehlungen – egal ob im Bereich Digitalisierung, Innovationsförderung oder Antibiotikaresistenzen – haben eine Sache gemeinsam: Sie bedeuten bei einer zeitnahen Umsetzung zumindest vorzeitig deutlich steigende Ausgaben für die Gesundheitssysteme oder hohe Investitionen in diese. Aber selbst ein reiches Land wie Deutschland achtet auf den Haushalt und die Gesundheitsausgaben. Woher kommt das zusätzlich benötigte Geld?
Es stimmt, dass für zeitnahe Umsetzungen beträchtliche Investitionen erforderlich sind. Effizient, effektiv und zielgerichtet getätigte Ausgaben für Prävention und resiliente Gesundheitssysteme sind hinsichtlich ihres „return on investment“ jedoch unschlagbar. Die Ebola-Epidemie in Westafrika ha#e die betroffenen Volkswirtscha!en schätzungsweise 10 Milliarden US-Dollar gekostet. Und die ersten beiden Jahre unter COVID-19 haben allein der deutschen Wirtscha! einen Schaden von circa 350 Milliarden Euro zugeführt. Die G7 sollten einen starken Beitrag für strategische Investitionen in die Globale Gesundheit leisten – im Sinne einer vorhersehbaren und langfristigen Gesundheitsfinanzierung. Das muss Prävention und Früherkennung, Infrastruktur, Humanressourcen, eine zuverlässige Versorgung mit Arzneimitteln, Diagnostik, Medizintechnik und weiteren Technologien sowie evidenzbasierte Strategien umfassen. Klar ist auch: Damit sind die Länder des globalen Südens nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, auch sie müssen ihren Beitrag leisten.
Woran scheiterte dies bislang?
Das Problem ist, dass auf internationaler Ebene inklusive G7 bislang keine hinreichenden gemeinsamen Metriken zur Bewertung des Impakts von Gesundheitsinvestitionen etabliert sind. Diese wären aber im Hinblick auf eine unter wissenschaftlichen Kriterien erfolgende Messung der Investitionsauswirkungen auf das Wirtschaftswachstum, die sozioökonomische Entwicklung, das gesellschaftliche Wohlergehen und die Gewährleistung der Gesundheit sowie die Resilienz des Finanzsystems erforderlich. Ohne die Mess- und Vergleichbarkeit wird es immer schwierig bleiben, die Wähler von der Richtigkeit langfristiger Investitionen zu überzeugen. Für die demokratischen Regierungen ist dies ein entscheidender Faktor. Wenn wir die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen wirklich ernst nehmen, ist mehr Umverteilung auf globaler Ebene unausweichlich.
Das Interview führte Gunnar Göpel.